Graue und weiße Substanz
Die Gewebeanteile des zentralen Nervensystems (ZNS) werden in graue Substanz (Substantia grisea) und weiße Substanz (Substantia alba) unterteilt.
Beide unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung sowie in ihrer charakteristischen Lage in Gehirn (Cerebrum) und Rückenmark (Medulla spinalis).
Aufgrund der jeweiligen Lokalisation wird das ZNS durch die graue und weiße Substanz in Rinde, Mark und Kerngebiete gegliedert.
Das Vorliegen von grauer und weißer Substanz kann makroskopisch am Präparat, aber zum Beispiel auch in der Schnittbildgebung, insbesondere im MRT, nachgewiesen werden. Die Unterscheidung dieser Bereiche und die Kenntnis über die Zellbestandteile, die die Substanzen ausmachen, ist also nicht nur in der Theorie, sondern auch im klinischen Alltag von Bedeutung.
Auch im peripheren Nervensystems (PNS) wird zwischen grauer und weißer Substanz unterschieden, allerdings unterscheidet sich hier die Terminologie etwas.
Das klang vielleicht erstmal etwas kompliziert, wir schauen uns die Anatomie und Unterschiede nun aber nochmal strukturiert und im Detail an.
Aufbau | Hauptsächlich Zellkörper (Perikarya) und nicht-myelinisierte Axone |
Lage |
Gehirn: als Kortex die weiße Substanz umgebend; zentral liegend in Form von subkortikalen Kerngebieten Rückenmark: als zentrale schmetterlingsförmige Struktur, umgeben von weißer Substanz PNS: in Ganglien |
Funktion | Reizaufnahme und -verarbeitung |
Aufbau | Hauptsächlich myelinisierte Axone |
Lage |
Gehirn: als Marklager innen liegend, umgeben vom Kortex (graue Substanz) Rückenmark: außen liegend, die graue Substanz umgebend PNS: in Nerven |
Funktion | Impulsweiterleitung |
Graue Substanz
Aufbau
Die graue Substanz im ZNS besteht größtenteils aus Perikarya, also den Zellkörpern der Nervenzellen. Diese Zellkörper enthalten den Zellkern.
Daneben gehören zur grauen Substanz ebenfalls, wenn auch mit einem kleineren Anteil, Kapillaren, verschiedene Arten von Gliazellen (Zellen mit Stütz- und Hilfsfunktion) sowie das Neuropilem, auch Neuropil genannt. Dabei handelt es sich hauptsächlich um nicht-myelinisierte Axone, Dendriten benachbarter Zellen und Gliazellfortsätze.
Die Nervenzellkörper sind in Bündeln zusammengelagert und daher auch makroskopisch im Präparat als graue Substanz sichtbar. Im lebenden Organismus sind diese Bereiche übrigens eher rosa. Die graue Farbe, die der Substanz ihren Namen gibt, entwickelt sich erst im Formalin-fixierten Präparat.
Die Zellkörper der Neurone dienen der Reizaufnahme und -verarbeitung, sowie der Generierung von Aktionspotentialen, die der Weiterleitung der durch die Reize generierten Impulse dienen. Entstehungsort dieser Aktionspotentiale ist der Axonhügel, der am Übergang vom Perikaryon zum Axon liegt. Eine weitere wichtige Aufgabe der Neurone ist die Synthese chemischer Botenstoffe, der sogenannten Neurotransmitter.
Lage
Die Verteilung von grauer und weißer Substanz ist charakteristisch für das jeweilige Gebiet des ZNS und unterscheidet sich damit maßgeblich zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark. Die graue Substanz befindet sich im ZNS dort, wo viele Zellkörper liegen.
Im Gehirn sind diese beiden Bereiche:
- Rinde (Cortex) und
- Kerngebiete (Nuclei)
Somit liegt die graue Substanz im Bereich des Gehirns vorwiegend außen und umhüllt als Hirnrinde (Cortex cerebri) das Großhirn (Telencephalon), sowie das Kleinhirn (Cerebellum).
Es gibt aber auch zentral liegende graue Substanz, die verschiedene Kerngebiete bildet. Diese können gegeneinander abgegrenzt werden. Beispiele dafür sind die Basalganglien, Formatio reticularis, Nucleus ruber, Substantia nigra, Hirnnervenkerne und Kleinhirnkerne, die alle von weißer Substanz umgeben sind.
Im Rückenmark präsentiert sich die graue Substanz auf eine ganz andere Art und Weise. Hier vereinigen sich die einzelnen Kerne und sind nicht mehr als eigenständige Kerngebiete voneinander abzugrenzen. Die graue Substanz bildet hier eine Einheit, in deren Mitte sich der Zentralkanal (Canalis centralis) befindet, welcher Cerebrospinalflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) enthält.
Ganz schön schwierig angesichts der vielen Strukturen und Begriffe den Überblick zu behalten. Keine Sorge, unser Arbeitsblatt zum Aufbau des Nervensystems kann dir helfen :)
Wird das Rückenmark im Querschnitt betrachtet, erscheint die graue Substanz hier wie eine zentral liegende schmetterlingsförmige Struktur, die vollständig von weißer Substanz umgeben ist. Im Rückenmark wird die graue Substanz in Vorderhorn (Cornu anterius medullae spinalis), Seitenhorn (Cornu laterale medullae spinalis) und Hinterhorn (Cornu posterius medullae spinalis) unterteilt.
Weiße Substanz
Aufbau
Die weiße Substanz besteht zum größten Teil aus myelinisierten Axonen. Axone sind die Nervenzellfortsätze, über die Nervenimpulse weitergeleitet werden. Hier lassen sich myelinisierte von nicht-myelinisierten Axonen unterscheiden. Die stark lipidhaltige Myelinscheide der myelinisierten Axone verbessert die Erregungsleitung und gibt der weißen Substanz ihre helle Farbe. Die weiße Substanz ist also vor allen Dingen verantwortlich für die Signalweiterleitung in ZNS und PNS.
Gebildet werden die Myelinscheiden durch spezielle Gliazellen und Oligodendrozyten, die somit ebenfalls zur weißen Substanz gehören. Gliazellen finden sich also sowohl in der weißen als auch in der grauen Substanz. In der weißen Substanz gibt es jedoch im Gegensatz zur grauen Substanz keine Perikarya.
Lage
Im Gehirn liegt die weiße Substanz innen und bildet hier das sogenannte Marklager. Es wird umhüllt durch die graue Substanz der Hirnrinde. In die weiße Substanz eingebettet, befinden sich außerdem die Kerngebiete, die ihrerseits aus grauer Substanz bestehen.
Im Rückenmark befindet sich die weiße Substanz außen und umgibt so den zentral liegenden Komplex aus grauer Substanz. Dabei wird die weiße Substanz makroskopisch in mehrere Stränge unterteilt: Vorderstrang (Funiculus anterior), Seitenstrang (Funiculus lateralis) und Hinterstrang (Funiculus posterior). In diesen Strängen verlaufen verschiedene auf- und absteigende Bahnen, die unter anderem Impulse für Motorik und Sensibilität weiterleiten.
Funktionell kann die weiße Substanz unterschieden werden in:
- Komissurenbahnen: verbinden die beiden Großhirnhemisphären miteinander.
- Projektionsbahnen: verbinden die Großhirnrinde mit Rückenmark, Hirnstamm, Thalamus und Basalganglien.
- Assoziationsbahnen: verbinden Neurone innerhalb der gleichen Hemisphäre.
Graue und weiße Substanz im PNS
Die Begriffe graue und weiße Substanz vornehmlich für das ZNS verwendet. Dennoch gibt es entsprechende Äquivalente auch im peripheren Nervensystem, die Terminologie unterscheidet sich jedoch.
Die graue Substanz im PNS wird Ganglion genannt. Dies sind ebenfalls Ansammlungen von Nervenzellkörpern. Sie erscheinen als knotige Verdickungen der Nervenstränge und dienen der Verarbeitung und Weiterleitung von Signalen.
Die weiße Substanz hingegen wird im PNS ganz einfach als Nerv bezeichnet.
Die Verwendung der Begriffe graue und weiße Substanz für Strukturen im PNS ist umstritten.
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Klinik
White-matter-lesions
Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei White matter lesions (WML) um Läsionen im Marklager, also in der weißen Substanz. Dabei liegen umschriebene Demyelinisierungsherde vor. Sie werden auch als White Matter Hyperintensities bezeichnet, da sie in MRT-Aufnahmen als weiße Flecken imponieren. Die Genese der WML ist meist (mikro-) vaskulär, also durch Schädigungen der kleinsten Gefäße verursacht. Dies kann im Rahmen von Erkrankungen wie z.B. Diabetes geschehen. WML nehmen im Laufe des Lebens aber auch physiologischerweise zu und sind somit im höheren Alter recht häufig. Dabei muss eine WML nicht zwangsweise eine neurologische Beeinträchtigung nach sich ziehen, eine WML-Zunahme korreliert in Studien jedoch signifikant mit einer schlechteren Merkfähigkeit und kognitiven Beeinträchtigungen.
Kortikale Atrophie
Eine Hirnatrophie, also ein Schwund von Hirngewebe, insbesondere der Hirnrinde, wird auch als kortikale Atrophie bezeichnet. Da die Hirnrinde aus grauer Substanz besteht liegt hier also eine Verringerung der grauen Substanz vor. Dadurch wird der Kortex schmaler, die Gehirnfurchen (Sulci cerebri) breiter und die Gehirnwindungen (Gyri cerebri) flachen ab. Eine solche kortikale Atrophie kann altersbedingt auftreten, jedoch zum Beispiel auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit oder der frontotemporalen Demenz vorkommen. Je nachdem welche Hirnregion von der Atrophie stärker betroffen ist, können verschiedene Symptome auftreten. Typisch sind beispielsweise Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, Störungen der Orientierung, Konzentration und des Denkens, aber auch Veränderungen der Persönlichkeit, Verringerung des Antriebs und Depressivität.
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