Nervus olfactorius und Geruchssinn
Der Nervus olfactorius (Riechnerv) ist der I. Hirnnerv.
Er enthält die gebündelten Zellen des Epithelium olfactorium (Riechepithels), zieht zum Bulbus olfactorius (Riechkolben) und dient der Geruchswahrnehmung.
Im Gegensatz zu den Hirnnerven III bis XII ist er kein Teil des Hirnstammes, sondern des Endhirns.
Dieser Artikel erläutert die Anatomie und die Funktion des N. olfactorius.
Ursprung | Riechepithel befindet sich an der Regio olfactoria |
Geruchsbahn |
1) Riechzellen 2) N. olfactorius 3) Bulbus olfactorius 4) Tractus olfactorius 5) Stria olfactoria medialis und lateralis |
Funktion | Geruchssinn |
Lage
Das Riechepithel, welches die Riechschleimhaut bedeckt, besteht aus Stütz- und Sinneszellen, liegt am oberen Rand der Nasenmuschel und nimmt einen kleinen Bereich der Nasenhöhlen ein (Regio olfactoria).
Die unmyelinisierten Axone dieser Sinneszellen lagern sich zu kleinen Bündeln, den Filae olfactoriae, zusammen. Die Gesamtheit der Filae bildet dann den N. olfactorius. Der eigentliche N. olfactorius umfasst somit nur die kurze Strecke, auf der die Zellen der Riechschleimhaut als zusammenhängendes Faserbündel verlaufen.
Bei den Sinneszellen handelt es sich um primäre Sinneszellen, sogenannte bipolare ZNS-Neurone, die sich im Laufe der Entwicklung in die Peripherie verlagert haben und die zur Auslösung von Aktionspotentialen fähig sind. Es sind die einzigen ZNS-Neurone, welche direkten Kontakt mit der Außenwelt haben. Sie sind zur Neubildung von Neuronen, der sogenannten Neurogenese, fähig.
Die Aussprossung neuer Neurone weist zudem eine Besonderheit auf: die Axone finden den Weg zu den richtigen Synapsen selbstständig, ohne dabei von Astroglia in ihrer Wegfindung blockiert zu werden.
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Geruchsbahn
Die erste Station der Geruchsbahn sind die Riechzellen. Sie verbinden sich zum N. olfactorius und ziehen zum Bulbus olfactorius. Im Bulbus enden die Fortsätze in den Glomeruli olfactorii, in welchen sie synaptische Kontakte mit den Dendriten der Mitralzellen eingehen. Die Axone des Bulbus bilden dann gemeinsam den paarigen Tractus olfactorius, der zur Stria olfactoria medialis und lateralis zieht (beide ebenfalls paarig angelegt).
Die mediale Stria projiziert in den kontralateralen Bulbus sowie in die beiden paläokortikalen Areale, die Substantia perforata anterior. Von der lateralen Stria werden Fasern vor allem in drei Areale entsendet:
- Regio praepiriformis ("primäre Riechrinde", auch als Kortex praepiriformis bezeichnet),
- Corpus periamygdaloideus der Amygdala sowie
- entorhinaler Kortex.
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Funktion
Die Funktion des Riechsystems ist vor allem phylogenetisch zu begründen. Gerüche dienen der Unterscheidung der Umwelt und seiner Objekte zwischen gefährlich und ungefährlich.
Einige Gerüche sind hochspezifisch und können eine Warnfunktion haben. So lösen zum Beispiel beißende, stechende und ätzende Gerüche vor allem Fluchtreaktionen aus. Bei bakterieller Decarboxylierung von Lysin (Aminosäure) kommt es zur Synthese von Cadaverin, welches einen typischen beißenden Geruch besitzt und auch als "Fäulnisgift" bezeichnet wird.
Die bakterielle Decarboxylierung findet ganz überwiegenden beim Verwesungsprozess von Leichen statt, in kleinen Konzentrationen findet sich Cadaverin jedoch auch im Urin und bei Vorliegen einer bakteriellen Infektion der Vagina. Der Geruch von Cadavern ist eingängig und mit keinem anderen vergleichbar. In allen drei Situationen erfüllt der Geruch eine wichtige Signalfunktion:
- Leichen weisen auf Gefahren hin, die es zu vermeiden gilt und führen zum Fluchtreflex
- Urin, der noch geruchlich wahrnehmbar ist, weist auf das Vorhandensein anderer Menschen (oder Tiere) hin
- Eine bakterielle Infektion der Vagina ist ein vorübergehender Zustand, bei dem ein Zeugungsakt mit späteren Geburtskomplikationen einhergehen kann.
Süße Gerüche hingegen signalisieren vor allem Nahrungsreichtum und salzige die Möglichkeit zum Auffüllen des Elektrolythaushaltes.
Zudem helfen Gerüche bei der Identifikation und Differenzierung von Personen. Es ist davon auszugehen, dass jeder Mensch ein individuelles Geruchsmuster ähnlich einem Fingerabdruck besitzt, das vor allem durch die Schweißabsonderung und anschließende bakterielle Zersetzung der Absonderungen bestimmt wird. Das von den Schweißdrüsen abgegebene Sekret selbst ist geruchlos, erst der bakterielle Abbau der enthaltenen Stoffe bedingt seinen Geruch.
Da das Mikrobiom eines jeden Menschen unterschiedlich ist, ist es auch der Schweißgeruch. Bei der Partnerwahl spielt dies eine große Rolle. In einem Experiment, in dem Frauen aus einer Reihe von getragenen Männer T-Shirts wählen sollten, wurden bevorzugt jene Shirts gewählt, deren vorherige Träger im Falle einer Kopulation mit der Frau Kinder mit einem diversifizierten Immunsystem hervorgebracht hätten.
Neben der Funktion in der Identifikation von Nahrung und Personen spielt der Geruch eine erhebliche Rolle beim Geschmackssinn. Patient:innen mit vorübergehendem oder dauerhaftem Verlust des Geruchssinnes weisen auch einen starken Verlust an Geschmackswahrnehmungen auf. Der Anteil des Geruchs am Geschmackssinn liegt bei schätzungsweise 50 bis 80%. Bei dauerhaftem Verlust des Geruchssinns, scheint sich die Intensität von Geschmackswahrnehmungen nur mäßig kompensatorisch zu verstärken.
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Klinik
Der Ausfall des Geruchssinns (Anosmie) kann durch Läsionen von Anteilen der Geruchsbahn oder der nachgeschalteten, verarbeitenden Areale bedingt sein.
Am häufigsten sind kurzzeitige Einschränkungen des Geruchssinns im Rahmen von Infektionen mit rhinopharyngealen Viren, als Nebenwirkung von Medikamenten sowie als Frühsymptom neurodegenerativer Erkrankungen wie zum Beispiel dem Morbus Parkinson. Seltene Ursachen sind Hirntumore, Depressionen, Schädel-Hirn-Traumata, vollständige Verlegung der Atemwege oder dissoziative Störungen.
Der Verlust des Geruchssinnes geht mit einem Verlust an Lebensqualität einher. Zum einen können fremde Gerüche nicht mehr wahrgenommen und analysiert werden, zum anderen können auch Eigengerüche nicht mehr beurteilt werden, was mit Problemen in der sozialen Interaktion einhergehen kann.
Des Weiteren kann es zu Fehl- oder Unterernährung kommen, da Speisen nicht mehr hinreichend beurteilt werden können. Dadurch kann es unbeabsichtigt zum Verzehr verdorbener oder vergifteter Lebensmittel mit entsprechenden Komplikationen kommen. Auch kann die Wahrnehmung von Brand- oder Heizgasen fehlen, sodass es zur akuten Gefahr für Leib und Leben kommt.
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