Du willst Anatomie in 3D lernen? Überleg’s dir nochmal.
Erzählen wir Menschen von Kenhub, fragen sie uns oft, ob wir auch 3D-Modelle von Körpern anbieten. Man scheint zu erwarten, dass eine moderne online Lehr- und Lernplattform für Anatomie selbstverständlich fortgeschrittene Visualisierungstechniken unterstützt.
Nach dem didaktischen Konzept hinter Kenhub, wie es Menschen hilft, sich Informationen länger und effektiver einzuprägen, fragt selten jemand.
Die eigentliche Frage ist daher: “Verlieren wir etwas, wenn wir keine 3D-Grafiken anbieten?”. Wir glauben, nein!
Auswendiglernen | Ein Kernaspekt des Anatomiestudiums ist es, sich den korrekten Begriff für jede Struktur zu merken. Diese Lernziele erreicht man am besten, indem man einerseits die Ablenkung minimiert und andererseits Überfüllung mit Lernstoff vermeidet. |
Didaktische Konzepte | Wir reduzieren die “Freiheit”, damit unsere User möglichst effizient lernen können und die Menge des Lernstoffs überschaubar bleibt. |
Personalisierung | Lernerfahrungen sollten sich Studierenden individuell anpassen. |
Spaß | Es geht nicht nur um die Informationen. Motivation spielt eine große Rolle beim Lernerfolg und deshalb integrieren wir Spielelemente in die Plattform. |
Viele Studien unterstützen unsere Ansicht, denn Fakt ist, dass in manchen Fällen 3D-Visualisierungen den Lernprozess ehr behindern.
“... unser Fazit ist, dass die Möglichlichkeit einer Anatomie-Software, dynamisch mehrere Richtungen darzustellen, eher wenigen Lernenden nützt und, früheren Studien zufolge, andere Lernende mit geringerer räumlicher Vorstellungskraft benachteiligt.” (Quelle).
Und selbst wenn 3D-Visualisierungen die Lernerfahrung verbessern würden, so glauben wir, dass sie alleine nicht ausreichen um effektiv Anatomie zu lernen.
- Visualisierung ist nicht alles
- Informations-Overload
- Zu viele Optionen
- Unser Ansatz
- Fazit
- Literaturquellen
Visualisierung ist nicht alles
Es stimmt, dass es wichtig ist, eine komplexe oder unbekannte anatomische Struktur zu visualisieren. Schließlich leben wir in einer dreidimensionalen Welt und unsere Körper sind nicht flach. Den menschlichen Körper visualisieren zu können hat seine Vorteile, aber die Visualisierung ist nicht die einzige Herausforderung beim Lernen.
Visualisierungen alleine können überfordern, das hat nicht nur unser Team erlebt, sondern auch unsere Nutzer:innen bestätigen das. Die Menge an Informationen, die Studierende verdauen müssen, ist enorm. Bei jeder anatomischen Struktur müssen Studierende üblicherweise den Namen (manchmal sowohl in Latein und Englisch als auch in ihrer eigenen Landessprache) und mindestens einen Fakt kennen.
Informations-Overload
Darüber hinaus haben manche anatomische Strukturen eine Funktion oder verbinden sich mit anderen Strukturen. Muskeln haben einen oder mehrere Ursprünge und Ansätze und jeder davon hat einen eigenen Namen. Wenn diese Information aufbereitet wird, ob in 3D oder 2D, dann immer zusammen mit anderen Informationen, die für den Lernprozess wichtig sind.
Typische Anatomieatlanten und viele computerbasierte 3D-Atlanten präsentieren einen ganzen Haufen an Informationen auf einmal. Darstellungen mit zwei oder drei Dutzend Anatomiebegriffen sind keine Seltenheit. Wir nennen das einen “Informations-Overload”. Den wollen wir unter allen Umständen vermeiden!
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Studien zur Cognitive Load Theory unterstützen unsere Ansicht. Speziell in einer Studie konzentrierten sich Forscher:innen in einem ihrer Experimente auf den Blutfluss im Herzen, im Lungen- und großen Kreislauf. Indem sie Informationen in Text und Diagrammen voneinander trennten, erzielten sie bessere Ergebnisse als bei einer kombinierten Darstellung. “... das einfache Entfernen einer redundanten Informationsquelle kann das Lernen beschleunigen und verbessern”.
Auch Experimente, die sich mit anderen Lernbereichen befassten, kamen zu ähnlichen Ergebnissen. “Die gängige Annahme, mal explizit, aber meist implizit, dass redundante technische Informationen zumindest neutral, womöglich aber nützlich für das Lernen sind, muss hinterfragt werden”.
Zu viele Optionen
Freiheit und die Möglichkeit, Geschwindigkeit, Richtung und Aneignung des Stoffes zu kontrollieren – zunächst scheint das für die Lernerfahrung sehr positiv zu sein. Rotieren, zoomen und verschiedene anatomische Strukturen aus vielen Perspektiven fokussieren zu können, das könnte man als Vorteil betrachten.
Tatsächlich aber legt die Forschung gerade das Gegenteil nahe:
“Diese Ergebnisse können als besorgniserregend betrachtet werden. Es ist mutmaßlich das Ziel aller didaktischen Innovationen, die Lernerfahrung zu verbessern. Allerdings konnten wir zeigen, dass das Hinzufügen dynamischer Simulationen einen negativen Einfluss auf das Lernen gerade diejeniger hat, die sie wohl am meisten benötigen: Studierende mit geringem räumlichen Vorstellungsvermögen”.
Vielen dreidimensionalen Anatomie-Lernplattformen fehlt es an Struktur. Besonders das Lernen und Einprägen profitiert von einem sequenziellen, strukturierten Ansatz, der den Lernenden einzuschränken scheint. Aber unserer Meinung nach helfen diese Einschränkungen gerade beim Lernen, weil sie den Fokus vergrößern und den Informations-Overload verkleinern.
Der zitierte Aufsatz resümiert: “Es ist offensichtlich, dass Lernende von den Möglichkeiten des Computers profitieren können, Visualisierungen von Strukturen aus verschiedenen Perspektiven anzubieten. Aber diese Studien haben gezeigt, dass unter gewissen Umständen das Angebot komplexer, multimedialer Einheiten unter der Kontrolle des Lernenden eher schadet als nützt”.
Unser Ansatz
Wir behaupten nicht, dass unser Ansatz für das Erlernen der Anatomie garantiert überlegen ist. 3D-Visualisierungen haben den Vorzug, dass man komplexe Strukturen mit ihnen besser verstehen kann.
Trotzdem: Man sollte sich hüten, diese Visualisierungen als primäre Informationsquelle zu nutzen. In manchen Bereichen kann es die Lernerfahrung deutlich verbessern, die kognitive Belastung zu mindern und den Fokus zu schärfen – Anatomie ist nur eines dieser Gebiete.
Wir bei Kenhub konzentrieren uns auf einige Kernaspekte:
- Auswendiglernen – Ein Kernaspekt des Anatomiestudiums ist es, sich den korrekten Begriff für jede Struktur zu merken. Diese Lernziele erreicht man am besten, indem man einerseits die Ablenkung minimiert und andererseits Überfüllung mit Lernstoff vermeidet. Jede einzelne unserer Übungen konzentriert sich auf eine oder zwei Strukturen, nicht mehr. Die Kombination von visuellen, textuellen, auditiven und interaktiven Darstellungsformen kann das Auswendiglernen erleichtern. Wiederholung und Neustrukturierung der Übungen sorgen für eine fokussierte, aber interessante Erfahrung.
- Didaktische Konzepte – Es reicht nicht, einfach nur die Informationen zu präsentieren. Der zentrale Nutzen unserer Plattform sind die didaktischen Konzepte für den Lernprozess. Wir reduzieren die “Freiheit”, damit unsere User möglichst effizient lernen können und die Menge des Lernstoffs überschaubar bleibt.
- Personalisierung – Alle Studierende sind unterschiedlich. Jede:r hat andere Talente und Bedürfnisse. Deshalb sollte sich die Lernerfahrung individuell anpassen.
- Spaß – Wir versuchen Spielelemente in die Plattform zu integrieren, um die Lernerfahrung fesselnder zu machen. Nochmal: Es geht nicht nur um die Informationen. Motivation spielt eine große Rolle beim Lernerfolg
Fazit
Wir haben versucht, kurz und knapp einige Aspekte des Anatomielernens anzuschneiden und mit Forschung auf diesem Feld zu verknüpfen. Wir haben einen ziemlich praxisorientierten Hintergrund und behaupten nicht wissenschaftlich beweisen zu können, dass unsere Plattform unbedingt allen anderen überlegen ist.
Lernen ist eine ganzheitliche Erfahrung, das gestehen wir ein. Ein Lernmix mag die beste Methode sein, die Ziele zu erreichen. Nichtsdestotrotz wollen wir, dass unsere Studierenden einen Sinn dafür bekommen, wie breit das Feld der Anatomiedidaktik ist – auch wir lernen ständig weiter.